Seit 2014 begleite ich als MBSR-Lehrerin und Trainerin für Achtsamkeit am Arbeitsplatz Menschen in verschiedenen Lebenssituationen dabei, Achtsamkeit als Haltung und Übungspraxis zu entdecken, zu erlernen und zu vertiefen.
In einer sich immer mehr beschleunigenden (Arbeits-)Welt geprägt durch permanente Geschäftigkeit und Erreichbarkeit sowie eine ständig wachsende Flut an Informationen eröffnet Achtsamkeit neue Möglichkeiten im Umgang mit Stress.
MBSR steht für Mindfulness Based Stress Reduction (Stressbewältigung durch Achtsamkeit) und wurde von Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn entwickelt, um durch Achtsamkeitsmeditation Menschen im Umgang mit Stress, Ängsten und Krankheit zu unterstützen. Das Training verbindet Übungen aus dem Hatha Yoga, Vipassana und Zen mit Elementen der kognitiven Psychologie und ist vielfach in seiner Wirkung auf mentale Kompetenzen erforscht. Gefördert werden bei regelmäßiger Übung nicht nur Fähigkeiten der Stressbewältigung und Entspannung sondern auch eine verbesserte Selbstwahrnehmung und Selbstregulation im Umgang mit Gedanken und Emotionen, Aufmerksamkeit und Präsenz, Problemlösekompetenz, Verbundenheit und Kommunikation.
Was bedeutet Achtsamkeit?
Der Zeitpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft – das Hier und Jetzt ist der Übungsort für Achtsamkeit: Augenblick für Augenblick offen und interessiert ausgerichtet auf eine direkte beschreibende Wahrnehmung von Gedanken, Gestimmtheiten, Körperempfindungen und Sinneseindrücken.
Achtsamkeit ist geprägt durch eine bestimmte Art und Weise der Aufmerksamkeit: wir sind bewusst, absichtslos und bewertungsfrei im gegenwärtigen Moment.
- Achtsamkeit ist bewusst, d.h. ich treffe willentlich eine Entscheidung für diese Haltung und bin dabei geistig wach. Gleichzeitig bin ich in der Achtsamkeit absichtslos, d.h. ich strebe nichts Bestimmtes an, sondern bin offen und unvoreingenommen für die Erfahrung des gegenwärtigen Augenblicks mit all seinen Möglichkeiten. Unser Alltagsdenken ist dagegen in der Regel zielorientiert und dabei im Nachdenken auf Zukunft oder Vergangenheit ausgerichtet. Wir sind beschäftigt mit planen, einordnen, abwägen, analysieren, einschätzen, vergleichen, und beurteilen von Erfahrungen oder Erwartungen. Eine Haltung der Absichtslosigkeit ist für uns eher ungewohnt. In den Übungen findet sich zur Unterstützung immer wieder die Formel: „Es gibt nichts zu erreichen.“
- Gewohnt ständig alles zu interpretieren fällt uns auch eine bewertungsfreie Haltung eher schwer. Üblicherweise führen wir in unserem Kopf pausenlos unbewusste Selbstgespräche und kommentieren alles Erleben, treffen Einschätzungen und Beurteilungen. In der Achtsamkeit steht die reine beschreibende Beobachtung im Mittelpunkt - auf Bewertungen wird verzichtet. Beim praktischen Üben sind deshalb weitere wichtige Formeln: „einfach zur Kenntnis nehmen, einfach wahrnehmen - wahrnehmen, was da ist, was sich gerade zeigt - einfach dabei sein, ohne zu bewerten.“
Dabei werden auch unangenehme Empfindungen in die Achtsamkeitspraxis mit eingeschlossen. Sie werden nicht weggeschoben sondern interessiert zur Kenntnis genommen und erforscht. Eine Vermeidung unangenehmer Gedanken und Empfindungen kann zu Dauerstress führen, da unbewusst die nach außen verdrängte erhöhte Erregung in unserem Gehirn ständig mit weiteren erlebten Situationen und Gedanken verknüpft wird.
Die Haltung der Achtsamkeit dagegen führt zu dem eindrücklichen bewussten Erleben, dass Gedanken und Empfindungen zwar unangenehm sein können, aber dabei nicht immer bedrohlich sein müssen. In der Beobachtung kann Distanz und Gelassenheit entstehen und es wird deutlich, dass wir einen ständigen Wechsel von angenehm und unangenehm wahrnehmen. Es entwickelt sich eine innere Einstellung der Akzeptanz, mit der es gelingt Situationen aber auch alle Aspekte des Selbst in diesem Augenblick so anzunehmen, wie sie sind. Diese „Ja, so ist es jetzt gerade“-Akzeptanz bedeutet jedoch nicht, dass man plötzlich alles unreflektiert gut findet, denn auch das wäre ja wieder eine Bewertung.
Für eine gesunde Stressbewältigung bietet ein Verankern im gegenwärtigen Moment die Chance, Körperempfindungen zu beruhigen und sich über Gedanken und Gefühle bewusst zu werden. Blockierende Muster und Routinen verlieren in der bewertungsfreien Beobachtung ihre Bedrohung, so dass ein innerer Raum der Wahlfreiheit entstehen kann. Hier werden Perspektivwechsel möglich, die ein kompetentes Handeln unterstützen. In der lebendigen Alltagserfahrung des „Im-Hier-und-Jetzt-sein“ wird so auch das Selbstwirksamkeitserleben gestärkt und damit eine wichtige Ressource gewonnen, die sich wieder positiv auf die Einschätzung der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten im Stress auswirkt.
Regelmäßiges Üben
Ein regelmäßiges Üben ist für die Entwicklung einer achtsamen Haltung unbedingt notwendig. Jon Kabat-Zinn unterscheidet die formelle und informelle Praxis von Achtsamkeit: während die formelle Praxis alle Übungen mit einer festen Struktur umfasst, besteht die informelle Praxis von Achtsamkeit in der gelebten alltäglichen Haltung.
- Zur formellen Praxis gehören folgende Elemente: Body Scan, achtsame Körperübungen aus dem Yoga, Sitz- und Gehmeditation. Atembeobachtung und Achtsames Innehalten können auch als Kurzübungen gut in den Tagesverlauf integriert werden.
- In der informellen Praxis werden einfache Alltagsroutinetätigkeiten mit voller Aufmerksamkeit durchgeführt: bewusst, absichtslos und bewertungsfrei im gegenwärtigen Moment z.B. duschen, Kaffee/Tee trinken, essen, Zähne putzen, abwaschen, kopieren, Wege zurücklegen oder einen Raum wechseln. So entstehen immer mehr Inseln im Tagesverlauf, die eine Haltung der Achtsamkeit stärken.